mare, die Zeitschrift der Meere
Das erste Mädchen vom Priwall
Früher fuhr sie zur See. Heute betreibt Gailana Lody eine Frauenpension in Schleswig Holstein
Marianne Lange
Wer hier wohnt, geht nicht jeden Tag zum Meer, sondern denkt sich. „Das kannst du auch morgen noch!“ Mit Besuch ist das was anderes. Mit Besuch muß man unbedingt mal über’n Deich gucken. Also fahren wir zum Deich, steigen hinauf und sehen, daß Flut ist. Graue Nordsee schwappt bis zur obersten Stufe der Treppe, die von der Strandpromenade ins Watt führt. Keine Badegäste, nur ein Urlauberpaar aus Bayern auf Fahrrädern. [...]
Zuletzt war Gailana „Steuermann“ mit dem Patent A 5 für große Fahrt. Das Patent ist
inzwischen verfallen, denn nach der Geburt des ersten Kindes blieb sie an Land. Während ihr Mann weiter als Kapitän zur See fuhr, sorgte sie für die
fünfköpfige Familie. Ungern – sie bedauert noch heute, daß sie den Beruf damals aufgegeben hat: „Ich bin mit dem Kind in die Falle getappt und habe den Deckel auch noch zugemacht!“ Pinneberg, die erste Station, erschien ihr spießig nach den Hafenstädten Sibiriens, Finnlands oder Afrikas und dem Leben an Bord. Mit anderen Frauen war es schwierig, denn die hatten ganz andere Diskussionsthemen.
Heute sind die Kinder und der Ehemann aus dem Haus. Als Existenzgrundlage betreibt sie seit einigen Jahren im Obergeschoss ihres Hauses eine Frauenpension, „Gailanas Garten“. [...] Sie hat sechs Betten und serviert ihren „Gästinnen“, wie sie sie nennt, das übliche reichhaltige Frühstück sowie eine warme Suppe oder ein Abendessen.
Beim „Proviant“ dankt sie ihrer seemännischen Praxis. Sie weiß genau, wieviel Käse sie braucht, wann Brot zu backen ist, ob Vorräte aufzufüllen sind. Die Gourmetvorstellungen heutiger Pensions-Gäste können Gailana Lody nicht irritieren: „Wer nicht mal an Bord erfahren hat, wie es ist, einen Topf Gulasch über den Kopf zu kriegen, weil das Essen nicht schmeckte, kommt mit allem anderen klar!“